So lautet ein Grundsatz des Baubüros in situ, das den nachhaltigen Umbau des Rorschacher Mehrfamilienhauses aus dem Jahr 1914 konzipierte. Meret Hodel, Architektin beim Baubüro in situ und mitverantwortlich für den Umbau des Mehrfamilienhauses in Rorschach, gibt Einblick in die ressourcenschonende Bauweise.

Meret Hodel, welche Voraussetzungen müssen für einen Umbau gegeben sein, bei dem Materialien und Bauteile wiederverwendet werden?

MERET HODEL Wichtig ist, dass die Bauherrschaft und die weiteren Projektbeteiligten motiviert und bereit sind, sich auf den Prozess einzulassen. In diesem Fall war es ein Glück, dass die Bauherrin und der Bauherr aktiv auf uns zukamen und lustvoll in den Planungsprozess eingestiegen sind. Alle Parteien müssen offen sein für Ideen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Ausserdem hilft es, wenn das Gebäude aus einer Bauzeit stammt, in der man wertige Materialien und Elemente verwendete.

Welche Rolle spielt der Werkstoff bei Umbauprojekten?

Der Werkstoff ist die Substanz, mit der wir arbeiten und damit die Stellschraube für die Möglichkeiten. Das Material muss etwas hergeben – es muss belastbar sein; damit es verändert und transformiert werden kann. Wertige, reine Materialien lassen sich auffrischen und inszenieren. Umso besser natürlich, wenn sie mechanisch angebracht sind, anstatt verleimt oder einbetoniert. Für Bauelemente, die wir neu produzieren und nicht aus bestehendem Material herstellen können, verwenden wir biobasierte Werkstoffe wie Holz. Es wächst nach, ist einfach zu verarbeiten und lässt sich – falls gewünscht – später problemlos wieder ausbauen.

«Wenn man mit der bestehenden Bausubstanz arbeitet, spart man viel graue Energie und erreicht immer eine bessere Energiebilanz als mit einem Neubau.»
Meret Hodel

Zur Person

Meret Hodel, Architektin EPFL/ETH | VR, vertiefte nach ihrem Master an der ETH ihr Interesse an neuen Formen des Zusammenlebens im Zuge des Projekts «case study steel house». Sie engagierte sich im Verein Pavilleon, einer Zwischennutzung des Kulturpavillons Werdmühleplatz, und bei Next Zürich, einem Verein für partizipative Stadtentwicklung. Im Baubüro in situ arbeitet Hodel seit 2017.

Recyceltes Mehrfamilienhaus mit neuem Treppenturm und Laubengängen aus Holz

Das recycelte Mehrfamilienhaus mit neuem Treppenturm und Laubengängen aus Holz.

Zur Holzbau-Referenz

Wie wird ein Re-use-Umbau geplant und umgesetzt?

Wir stellen den Prozess in den Vordergrund. Er beinhaltet den Umgang mit dem Bestand, dem Ort, den Menschen und den Vorschlägen, die sie an uns herantragen. Wir gehen so vor, dass wir erst das Potenzial eines Gebäudes zu verstehen versuchen und seine Qualitäten feststellen. Beim Umbau in Rorschach war es die vielseitige Grundrisssituation, die wir behalten wollten. Von den Qualitäten im Grossen und Ganzen wechseln wir ins Detail und bestimmen weiter, was sich hervorheben und verstärken lässt. Zum Beispiel gut erhaltene Fenster, oder ein schöner Parkettboden. Wir betrachten den Bestand wie einen Baukasten und entscheiden, was wir wo weiterverwenden.


Weshalb wurden beim Umbau des Hauses in Rorschach die Materialien wiederverwendet beziehungsweise wie wichtig war dieser Aspekt im Umbauprojekt?

Ersatzneubau oder umnutzen? Diese Frage stellte uns die Bauherrschaft. Unser Vorschlag war der Umbau. Denn: Wenn man mit der bestehenden Bausubstanz arbeitet, spart man viel graue Energie und erreicht immer eine bessere Energiebilanz als mit einem Neubau. Selbst wenn das alte Gebäude schlecht gedämmt ist und der Neubau den Minergiestandard erfüllen würde. Die Bauherrschaft in Rorschach war offen für den Umbau mit Re-use und liess sich auf den Umbau ein. Sie freut sich auch über die Geschichten, die durch die wiederverwendeten Materialien entstanden. Etwa, dass man über die ehemaligen Treppentritte, die heute als Türschwelle dienen, das Haus betritt.


Lohnt es sich denn auch finanziell und hinsichtlich des Aufwandes, die Materialien und Bauteile weiterzuverwenden?

Wir vergleichen es so: Bauen mit Re-use ist noch ein bisschen wie Bioprodukte. Es zeigt, dass wir mit Wiederverwendung und Recyclingmaterial bauen können und stellt eine zukunftsfähige Bauweise dar. Doch günstiger ist es nicht. Dazu müssen wir die Prozesse noch weiter definieren und unser Netzwerk mit Handwerksbetrieben und Unternehmen aufbauen, damit es flüssiger läuft. Aber: In allen Bereichen setzt man sich heute mit der Nachhaltigkeit auseinander. Und beim Bauen ist die Hebelwirkung massiv. Dessen sind sich Bauherrschaften und Investoren bewusst. Dazu kommt, dass viele Leute heute nicht mehr in 08/15-Bauten leben und arbeiten möchten. Vielmehr wünschen sie sich individuelle Häuser, die etwas zu erzählen haben.


Worin bestanden beim Projekt in Rorschach die Herausforderungen?

Das Kostendach war von Anfang an definiert und setzte den fixen Rahmen. Und dann tauchten, wie bei jedem Umbau, Überraschungen auf: das instabile Mauerwerk im Keller zum Beispiel. Wir mussten dafür und für weitere Knackpunkte zusammen kostengünstige Lösungen suchen. Letztendlich war der Umbau eine erfolgreiche Geschichte und die Bauherrschaft ist sehr zufrieden. Jedoch ist es in einer prozesshaften Architektur wichtig, die Schnittstellen zwischen Bauträger, Planer und Unternehmer besonders sorgfältig zu definieren und im Planungs- und Bauprozess klar zu organisieren.